T. Meynard S.J.: Confucius Sinarum Philosophus (1687)

Cover
Titel
Confucius Sinarum Philosophus (1687). The First Translation of the Confucian Classics


Herausgeber
Meynard, Thierry
Reihe
Monumenta Historica Societatis Iesu, Nova Series 6
Erschienen
Rom 2011: Institutum Historicum Societatis Iesu
Anzahl Seiten
447 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Nadine Amsler

Den Konfuzianismus – eine Wortschöpfung des 19. Jahrhunderts – haben die Jesuiten nicht «erfunden». (Vgl. Nicolas Standaert, The Jesuits Did NOT Manufacture «Confucianism », in: East Asian Science, Technology and Medicine, 16 [1999], 115–132). Konfuzius und seine Lehre in Europa erstmals bekannt gemacht zu haben, ist aber zweifellos ihr Verdienst. Wesentlich dazu beigetragen hat Confucius Sinarum Philosophus. Dieses Werk, das Prospero Intorcetta S.J. mit einem Übersetzerteam in Guangzhou 1668 initiierte und Philippe Couplet S.J. fast zwanzig Jahre später in Paris zum Abschluss brachte, übersetzte nicht nur erstmals drei der konfuzianischen «Vier Bücher» (Sishu) in eine europäische Sprache. Es ist auch ein wichtiges Dokument des chinesischen Ritenstreits, da es die jesuitische Sicht auf China besonders deutlich zum Ausdruck bringt. Der Sinarum Philosophus ist deshalb in mehrerer Hinsicht ein zentrales Werk der China-Mission, das aber bisher nur vereinzelt in Aufsätzen untersucht und auszugsweise übersetzt worden ist. Umso erfreulicher ist es, dass sich Thierry Meynard, Professor für Philosophie und Religious Studies an der Sun Yatsen University in Guangzhou, dem Werk angenommen hat. Im vorliegenden Buch übersetzt er wichtige Teile des Sinarum Philosophus ins Englische und analysiert in seinen Kommentaren kenntnisreich und umsichtig die Übersetzungs- und Interpretationsarbeit der Jesuiten.

Der Titel des Buches ist etwas irreführend, handelt es sich dabei doch nicht um eine vollständige Edition des Sinarum Philosophus. Stattdessen beschränkt sich das dreigeteilte Werk auf die Übersetzung und Edition der grundlegenden «Einleitenden Erklärung » (Proëmialis Declaratio, Teil 2) sowie des «Grossen Lernens» (Daxue), des von den Jesuiten intensiv bearbeiteten ersten der «Vier Bücher» (Teil 3). Der Edition dieser beiden Texte stellt Meynard eine ausführliche Einleitung voran (Teil 1), in der er die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit am Sinarum Philosophus zusammenfasst.

Geleitet von der ihn interessierenden Frage nach den Übersetzungs- und Interpretationspraktiken der Missionare widmet Meynard in der Einleitung sein Hauptaugenmerk dem hermeneutischen Zugang der Jesuiten zu den «Vier Büchern». Von Vorgängerwerken, in denen die Jesuiten bereits Teile der «Vier Bücher» übersetzt hatten, unterscheidet sich der Sinarum Philosophus vor allem dadurch, dass er nicht nur den Kerntext des «Grossen Lernens» übersetzte, sondern diesen in Passagen aus der chinesischen Kommentarliteratur einbettete. Überzeugend zeigt Meynard, dass die Jesuiten, die sich offiziell stark von dem als atheistisch wahrgenommenen neokonfuzianischen Denker Zhu Xi abgrenzten, im Sinarum Philosophus nicht umhin kamen, auf dessen in der späten Kaiserzeit autoritative Interpretationstradition zurückzugreifen. Zhang Juzheng, der Gelehrte aus dem späten 16. Jahrhundert, den die Jesuiten anstelle Zhu Xis als Hauptkommentator wählten, gründete seine Auslegung der «Vier Bücher» genauso wie die meisten seiner Zeitgenossen auf den grossen Song-zeitlichen Denker (36). Zu Recht weist Meynard deshalb darauf hin, dass man sich von der Idee verabschieden müsse, die Jesuiten hätten den Neo-Konfuzianismus schlichtweg verworfen: «The Sinarum Philosophus shows precisely a deep affinity for Neo-Confucian hermeneutics.» (75) Denn wenn auch ihr eigentliches Interesse den antiken chinesischen Texten galt, konnten die Jesuiten nicht ohne Zhu Xi auskommen, wollten sie ihre Interpretation der «Vier Bücher» für das zeitgenössische China anschlussfähig machen.

Für die antiken Texte interessierten sich die Jesuiten, weil sie überzeugt waren, dass das chinesische Altertum Kenntnis vom christlichen Gott gehabt habe. Diese ursprüngliche Gotteskenntnis, die erst durch das Eindringen der abergläubischen Lehren von Taoismus, Buddhismus und schliesslich Neokonfuzianismus verloren gegangen sei, liess sich aus ihrer Sicht in den klassischen konfuzianischen Schriften, zu denen die «Vier Bücher» gehören, belegen. Wie stark diese im Ritenstreit verteidigte Überzeugung die Sicht der Jesuiten auf China strukturierte, zeigt die Proëmialis Declaratio, die der zweite Teil des vorliegenden Buches in einer annotierten englischen Übersetzung (81–245) und im lateinischen Original (247–327) präsentiert. Sie enthält nebst einer systematischen Darstellung der verschiedenen chinesischen Denktraditionen auch eine von Philippe Couplet verfasste ausführliche Diskussion der Missionsmethode Matteo Riccis, der, so Couplet, «überzeugt war, dass die Chinesen nicht nur in einer, sondern in mehreren Epochen dem wahren Gott […] dienten.» (176, 290f.) Die Proëmialis Declaratio ist aufgrund der systematischen Darlegung der jesuitischen Sicht auf die chinesische Geistesgeschichte ein zentrales Dokument der China- Mission. Meynard hat die gedruckte Version für die vorliegende Edition sorgfältig mit dem Manuskript verglichen (vgl. auch die Tabelle 434f.) und durch zahlreiche textgeschichtliche und kontextualisierende Anmerkungen ergänzt, welche die wissenschaftliche Arbeit mit dieser wichtigen Quelle inskünftig sehr erleichtern werden.

Der dritte Teil des Buches, der dem «Grossen Lernen» gewidmet ist, enthält nebst der lateinischen und englischen Version auch den chinesischen Text des Daxue. Damit vollendet Meynard gewissermassen den Plan der China-Jesuiten, wünschte sich Couplet doch, die Übersetzung zusammen mit dem chinesischen Originaltext zu publizieren, was aber aufgrund der mit dem Druck chinesischer Zeichen verbundenen Schwierigkeiten nicht realisiert werden konnte (331). Indem Meynard den chinesischen Text des «Grossen Lernens» und die lateinische kommentierte Übersetzung paragraphenweise mit seiner annotierten englischen Übersetzung zusammenführt, ermöglicht er den direkten Vergleich zwischen chinesischen und lateinischen Termini. Dadurch werden wichtige Erkenntnisse Meynards direkt nachvollziehbar: Etwa, dass die Jesuiten im Sinarum Philosophus die «Vier Bücher» nicht wie in früheren jesuitischen Übersetzungen als reine Moralphilosophie interpretierten, sondern sie als eine auf rationalen Grundsätzen basierende, mit einer metaphysischen Dimension ausgestattete Philosophie verstanden. So übersetzten die Jesuiten etwa den Begriff mingde («helle Tugend ») konsequent als rationalis natura, um so die rationale Grundlage der konfuzianischen Philosophie hervorzuheben. Den konfuzianischen Begriff zhishan gaben sie mit dem aristotelischen Begriff des summum bonum wider, wodurch das «Grosse Lernen» eine metaphysische Dimension erhielt (332; vgl. auch Kapitel 3 der Einleitung). Die aufschlussreiche Gegenüberstellung der verschiedenen Texte ergänzt Meynard mit zahlreichen Anmerkungen zu Übersetzungspraktiken und Quellentexten.

Dem grossen Reichtum an Informationen, der das vorliegende Buch für den Leser bereithält, wäre eine etwas übersichtlichere Gestaltung zuträglich gewesen. So werden etwa die Editionskriterien nirgendwo separat erklärt; wichtige editorische Entscheidungen werden lediglich in Fussnoten erwähnt (z.B. 331, Anm. 1 und 5). Ein etwas ausführlicherer einleitender Abschnitt zu solchen «handwerklichen» Fragen sowie ein gründlicheres Lektorat hätten dem Werk gut getan.

Dieser kleineren Kritikpunkte ungeachtet ist Meynard mit dem vorliegenden Buch ein beeindruckendes Werk gelungen. Er leistet damit nicht nur verdienstvolle Editionsarbeit, sondern legt auch eine faszinierende Studie über den Sinarum Philosophus vor, die zum ersten Mal umfassend die Übersetzungs- und Interpretationspraktiken der an ihm beteiligten China-Jesuiten beleuchtet und präzise analysiert

Zitierweise:
Nadine Amsler: Rezension zu: Thierry Meynard S.J. (Hg.), Confucius Sinarum Philosophus (1687). The First Translation of the Confucian Classics, Rom, ARSJ 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 700-702.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit